Lesestunde
Ich weiß nicht wo zu beginnen und wo zu enden. Ich weiß nicht worüber ich diesmal schreiben möchte. Wird es wieder etwas Ernstes oder doch etwas fröhlich Schönes? Oder vielleicht eine Mischung aus beidem? Wie so oft, habe ich auch diesmal keinerlei Ahnung und Hinweis wohin die Reise, besser gesagt all die Buchstaben und aneinander gereihten Worte mich führen. Doch ich glaube fest daran, dass es genau diese Ungewissheit sein wird, die meine Geschichte zum Leben erwecken wird.
Jeden Tag setze ich mich nun regelmäßig um dieselbe Uhrzeit auf meine Terrasse. Zusammen mit einigen Pflanzen und Sträuchern, herbstlich strahlenden Bäumen und einer Wäscheleine, bildet sie einen kleinen und sehr heimischen Garten. Irgendwo im Norden Brisbanes. Viel ist nicht bekannt über dieses kleine Örtchen, das nun Zuhause genannt wird. Meist scheint mir die Sonne direkt ins Gesicht, lässt meine Augen gold-braun scheinen, meine Haut leicht bräunen und mich wärmen. Die Straße direkt davor, mit den hunderten von Autos die sie befahren, sie fällt mir schon nicht mehr auf. Zu Beginn da war der Lärm so präsent und mit jedem laufenden Motor hob ich meinen Blick, in Richtung Chaos gewandt. Doch nun, da fühlt sich das Chaos so entspannt an. Aus Chaos wurde irgendwie nur ein weiterer Teil des Gartens, den ich akzeptiere und zu schätzen lerne. Aus tausenden Autos wurde eine einzige Sache, ein kleiner Teil von etwas Großem. Blickt man sich in meinem Garten um, glaubt man schnell sich in ein, zwei Minuten satt gesehen zu haben. Und obwohl er Tag für Tag gleich aussieht, fühlt er sich mit jeder weiteren Lesestunde etwas größer an. Mit den Beinen auf den Tisch liegend, schlage ich von einer zur nächsten Seite meines Buches. Regelmäßig pausiere ich und akzeptiere ich, alles was ist und all das Nichts. Wie so oft, da schließ ich die Augen und spüre plötzlich kein Gewicht, denn ich trage nichts. All die Last, ich weiß nicht wo sie mich verlassen hat, aber ich weiß sie ruht nun wie ich, irgendwo im Licht und wandelt Schlechtes in Gutes, und Gutes in Einzigartiges. Eine Sekunde der Pause führt ein weiteres mal zu Minuten der Stille. Stille die ich in mir finde und sich in jeder Zelle meines Körpers bemerkbar macht, denn ich beginne plötzlich, nur mehr zu atmen. Die Hand, sie hält mein Buch, doch ich, ich halte meine Finger und spüre das Blut in ihre Spitzen fließen. Die Füße, sie rasten bequem am Tisch, doch ich, ich laufe Marathon. Vom großen Zeh bis in die letzte Zelle meines Gehirns. Die Sonne, sie strahlt, doch ich, ich leuchte in all den hellen Farben. Ich sehe nur noch Gold, Orange, Gelb. Ich sehe das Leben und fühle mich. Und während sich meine Seele dem Licht so offenbart, da malen mir meine Ohren ein Bild ins Gesicht. Jeder Vogel zwitschert mir eine Geschichte zu, eine Geschichte die mich plötzlich im Dschungel stehen lässt. Umgeben von so viel Leben und Energie. Ja, selbst ein Automotor zaubert mir in dieser Sekunde ein Lächeln in mein Gesicht. Denn alles was ich tue, ist die Augen zu schließen, den Atem fließen und die Seele baumeln zu lassen.
Es ist wirklich faszinierend zu sehen, wie viel Wunder in mir steckt. Jeden Tag überrascht mich das Leben mit mir selbst. Sobald ich glaube, das wars, da kommt was Neues angefahren. Und obwohl das Neue oft ziemlich über meine Grenzen fährt, so bringt es doch jedes Mal etwas Entspanntes mit sich mit. Was das ist? Ich denke vielleicht ein Stückchen Ich, ein Stückchen du und ein Stückchen Licht.
Und all das Chaos, all der Lärm, ist genauso wunderbar wie du selbst. Um es als Wunder zu sehen, müssen wir vermutlich zuerst beginnen es zu befreien, von all den Schichten, die unser Ego uns aufzwingt. Es ist wie eine Zwiebel zu schälen. Eine meiner Lesestunden, sie lehrte mich, all das was in mir steckt, all das was mich leben lässt, ist verpackt in Schalen der Vergangenheit, der Erfahrungen und der Narrativen, die ich mit mir trage, ohne es zu wissen. Es liegt also an mir, meine Zwiebel zu schälen, Hülle für Hülle fallen zu lassen und der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Nur dann, kann ich das Wunder leben und mich fallen lassen. Nur dann, sehe ich was wirklich ist und nehme meinem Ego das Licht. Plötzlich scheine ich. Denn ich akzeptiere und vergebe. Ich lache und schwebe.
Nein mehr braucht es tatsächlich nicht. Es braucht kein Geld, kein Haus, nichts Materielles . Es braucht nur dich und dein Bewusstsein, zu wissen, dass du das Leben in dir trägst, und nicht das Leben dich. Es sind die Momente der Verzweiflung, Momente der Stille und des Schmerzes, die uns, wenn wir sie annehmen, die Augen öffnen und uns wachsen lassen. Denn manchmal da braucht es die komplette Dunkelheit, um den Funken Licht wieder zu finden.
Eine andere Lesestunde, die lehrte mich, was es bedeutet zu vertrauen. Vertrauen in Dinge stecken, die es benötigen um blühen zu können. Personen die dein Vertrauen benötigen, um strahlen zu können. Und du, wie du dein Vertrauen benötigst, um endlich loslassen zu können. Zu entdecken, wo das Leben in uns steckt, wo es seinen Ursprung findet, das leitet uns zu der schlichten Annahme, dass es wir sind, die es lenken. Auch wenn wir glauben zu wissen, das uns all die äußeren Dinge leiten und steuern, sind es bei genauerem Hinsehen wieder nur wir selbst, die die Richtung bestimmen. Denn was du fühlst, wenn du deine Augen schließt und sie morgens wieder öffnest, was du denkst, wenn du in den Spiegel siehst, in dein Auto steigst, deine Rechnungen zahlst, oder deine Liebe gehen lässt, das ist das, was dir die Richtung vorschlagt.
Beginnen wir bei den Gefühlen, die Erde in der unser Samen wächst. Nichts ist so essentiell für dich, wie sie anzuerkennen, zu fühlen und auszudrücken. Sie schwimmen lassen, wie Fische im Strom des Meeres, das ist es was Gefühle benötigen um dir Vertrauen im Leben zu schenken. Nur dann, kannst du dich entwickeln und darauf verlassen, dass selbst etwas Schmerzhaftes Liebe in sich trägt und dich dort hinführt, wo du sie fühlen wirst. Gefühle sind wie die Luft die deine Seele benötigt, um zu atmen und zu wachsen.
Das mit den Gedanken scheint auf den ersten Blick so simple, doch wird genau so schnell recht komplex, wie zum Beispiel Popcorn, die du nur einige wenige Sekunden zu lange in der Mikrowelle poppen lässt. Und genau wie mit den Popcorn, braucht es auch mit deinen Gedanken meist zwei, drei oder zehn Versuche, um sie endlich mit all deinen Geschmacksknospen genießen zu können. Selbst nach unzähligen meiner Lesestunden im Garten des Lebens, finde ich immer noch so viele Rätsel die es gilt zu lösen, um endlich zu verstehen was das alles heißt. Um es zu vereinfachen ist wohl am besten und leichtesten zu sagen, dass so wie auch zuvor, du das Ruder in den Händen haltest, denn du entscheidest, welche Gedanken deinen Tempel betreten und welche vor den Toren verwesen. Du entscheidest, welche Gedanken wie viel wiegen, welche du weiterschickst, und welchen du einen Platz zum Bleiben anbietest. Macht es doch plötzlich mehr Sinn, warum du dich so leer und negative fühlst, wenn zwei Drittel deiner Gedankenkapazität mit Negativität gefüllt sind. Fragst du dich, warum so vieles sich wie schwere Last anfühlt und das Leben gegen dich spielt? Nimm dir eine Minute, schließe deine Augen und wandere durch deinen Kopf. Zähle wie viele beschwerende Gedanken du findest und wie schwer es ist, die wenigen positiv leuchtenden zu entdecken.
Was du gedanklich mit dir trägst, beeinflusst also auch, meist ohne es zu bemerken, wie du dich fühlst. Und was du fühlst, das leitet dich schlussendlich in die äußere Welt und all die Dinge die dort auf dich warten. Sich über diesen Kreislauf bewusst zu werden, ihn selbst in den Händen zu halten und ihn bewusst zu ändern, das ist, was es dir ermöglicht, Vertrauen zu fühlen und zu schenken. Denn du weißt, alles führt zu dir zurück. Jede Emotion, jeder Gedanke, jede Situation bist du und entsteht in dir. Warum also weiter Schuld zuweisen und in Selbstmitleid versinken? Warum Gefühle unterdrücken und verleugnen, wenn du dir somit den Raum, um Wunder zu kreieren, nimmst? Warum Glück so verzweifelt in jeder Sache und jeder Person zu suchen, wenn du es nur in und mit dir finden kannst?
Ich öffne wieder meine Augen. Mittlerweile brennt meine Haut, und die Zellen unter ihr fühlen sich aufgeladen und bereit an, weiters zu erkunden. Ich sehe immer noch Gold, in jedem meiner Augenwinkel. Wie ein leichtes Glitzern hinterlässt es seine Spur. Ich lege meine Hand auf das aufgewärmte Fell meines Hundes, bewege meine Füße in kreisenden Bewegungen, strecke meine Beine und atme tief ein und aus. Für diese Sekunden des inneren Ruhens, gab es plötzlich kein Lärmchaos auf den Straßen, kein lautes Gezwitscher in den herbstlichen Bäumen und keinen menschlichen Körper, der sich mein Zuhause nennt. Es gab nur meine Seele, mich, und diese Lesestunde, gefüllt mit Licht.
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